Jahresvortrag der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft
Prof. Dr. Enrico Pasini (Rom):
"Ein Entwurf meiner Dynamiken, den ich in Italien entworfen hatte": Leibnizens dynamisches Opus von 1689.
mehr lesenProf. Dr. Enrico Pasini (Rom):
"Ein Entwurf meiner Dynamiken, den ich in Italien entworfen hatte": Leibnizens dynamisches Opus von 1689.
mehr lesen12.00 Uhr in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis.
mehr lesen12. November | Prof. Dr. Dr. Franz Schupp (Freiburg/Br.)
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20. Oktober | Prof. Dr. Kiyoshi Sakai (Tokyo):
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14. Oktober | Dr. Cornelia Buschmann (Potsdam):
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23. September | PD Dr. Peter Nickl (Hannover):
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9. September | Prof. Dr. Gerhard Kruip (Hannover):
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24. Juni | Prof. Dr. Steffen Dietzsch (Berlin):
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6. Mai | Prof. Dr. Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin):
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29. April | Dr. Heinz-Jürgen Heß (Hannover):
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1. April | Dr. Günter Arnold (Weimar):
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18. März | Dr. Jens Häseler (Potsdam):
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15. Januar | PD Dr. Thomas Fuchs (Hannover):
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Freitag, den 12. November 2004
Prof. Dr. Dr. Franz Schupp (Freiburg/Br.)
Zum Vortrag:
„Enzyklopädie” ist hier in einem Sinn zu verstehen, der auch bei Leibniz vorkommt: Ein Überblick über die verschiedenen Wissensgebiete, ihr Zusammenhang sowie Studien- und Forschungsstrategien, die sich daraus ergeben.
Eine solche Enzyklopädie wurde im Bereich der islamischen Kultur erstmals von al-Farabi (um 890-950) unter dem Titel „Ihsa' al-'Ulum” verfasst. Diese Enzyklopädie wurde von Gerhard von Cremona (um 1114-1187) in Toledo unter dem Titel „De scientiis” übersetzt. Eine verkürzte Version dieses Textes erstellte Dominicus Gundissalinus (um 1110 – nach 1181). Letztere war im lateinischen Mittelalter besser bekannt als erstere und hatte auch einen ziemlich großen Einfluß, z. B. auf Roger Bacon (um 1215-1292). Im Vortrag soll aber Gerhard von Cremonas Gesamtübersetzung von „De scientiis” behandelt werden, und es soll auch weniger auf deren Fortwirken im lateinischen Bereich, stärker hingegen auf ihre Bedeutung im Kontext der islamischen Kultur des 10. Jahrhunderts eingegangen werden.
F. S.
Der Referent hat uns den vollständigen Text des Vortrags zur Verfügung gestellt – Sie finden ihn hier im doc-Format (Copyright beim Autor).
Mittwoch, den 20. Oktober 2004
Prof. Dr. Kiyoshi Sakai (Tokyo):
Zum Vortrag:
Kitaro Nishida (1870-1945) gehört zweifelsohne zu den originellsten Philosophen des modernen Japan. Auf der Folie des Zen-Buddhismus widmete er sein ganzes Leben der Philosophie im allgemeinen und insbesondere dem Versuch, westliche und östliche Philosophien zu vereinen. Zudem hat er sich immer wieder unablässig interessiert und mit großem Engagement leibnizschen Gedanken zugewandt, um im Anschluss seine eigene Position zu präzisieren. Nishida war in Japan wohl der erste, der die individualistische Komponente der Monadologie und deren eigentümliche Tragweite hervorgehoben hat.
Wir wollen heute aber eine andere Perspektive der Thematik Leibniz und Nishida erörtern: Die Frage nach dem wahren Selbst, die jeder von uns sich für sich selbst ja stellen kann. Das Selbst zu erfahren heißt für Nishida, das Selbst in der Welt zu erleben, in der es existiert, während Leibniz es im Grunde als Individuum, Ich und Substanz-Monade auffasst. Was dann den Begriff der expressio multorum in uno betrifft (jedes Selbst ist zugleich ein lebendiger Spiegel des gesamten Universums), so geht es beiden Denkern um die Frage nach dem Selbst, wenngleich die Ausgangspunkte jeweils sehr verschieden sind.
K. S.
Donnerstag, den 14. Oktober 2004
Dr. Cornelia Buschmann (Potsdam):
Zum Vortrag:
Die Forschungsgeschichte der Philosophie Christian Wolffs (1679-1754) steht in einem besonders engen Verhältnis zur Geschichte der Aufklärungsforschung. Während etwa Kant, Popularphilosophen wie Garve und Mendelssohn oder auch einzelne literarische Autoren im Grenzbereich philosophischer Publizistik des 18. Jahrhunderts als Protagonisten einer (auch) philosophischen Aufklärung längerfristig forschende Aufmerksamkeit gefunden haben, stand Wolff lange unter einem Verdikt metaphysischer Überanstrengung und Langeweile. Zum Beleg wurde neben Breite und Struktur seines Oeuvres gerne das vermeintliche Fehlen zeittypisch essayistischer und kulturkritisch-polemischer Textsorten herangezogen, daneben aber auch eine – mindestens im Vergleich zu den großen Systemen des 17. Jahrhunderts – unvollkommene Tiefe in der Handhabung des Repertoirs der klassischen Metaphysik beklagt. Zumal die an Kant geschulte, primär erkenntnistheoretisch und erkenntniskritisch orientierte Philosophiegeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts sparte in der Veranschaulichung der kopernikanischen Wende nicht mit Zuschreibungen des Dogmatismus und trug so zu dem allgemeinen Bild eines philosophischen Irrwegs bei, für das das Verdikt des Dogmatismus schnell seine Kantsche begriffliche Einbindung verlor und nurmehr als Synonym einer aufklärungsfremden Abgelebtheit erscheinen mochte.
Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte der Wiederentdeckung Wolffs als Aufklärer eng mit einem Konzeptwechsel der philosophischen Forschung verbunden und kann als Indikator einer Konzeptgeschichte der Aufklärungsforschung gelten. Das erwachende Interesse an Wolff als Aufklärer hatte vor allem ein gewichtiges Argument für sich: Das einer breiten und in sich differenzierten Rezeptionsgeschichte über wenigstens drei Generationen im 18. Jahrhundert selbst. Um dieses Argument zum Ausgangspunkt eines neuen Forschungszugangs werden zu lassen, bedurfte es der zunächst keineswegs selbstverständlichen, zumindest iterativen Anerkennung rezeptionsgeschichtlicher Forschung als philosophischer Forschung über die Rekonstruktion je individueller Textgenese hinaus. Nur unter dieser Voraussetzung war die Breite des Wandels in Methode und Stil philosophischer Textproduktion und nachfolgend fachdisziplinärer wie allgemein-gebildeter Argumentationsformen als philosophisches, nicht lediglich soziologisches Phänomen thematisierbar. Dem trat ein wachsendes Interesse an Fragestellungen der praktischen Philosophie, der Ethik, der politischen und ökonomischen Theorie an die Seite, in dessen Fokus Christian Wolff – zunächst überraschend – als exponierter Akteur wie Zeitzeuge aufklärerischer Transformation in Theorie und Praxis erschien.
Vor diesem Hintergrund untersucht der Vortrag, welche Veränderungen im Wissenschaftsbegriff des 18. Jahrhunderts von Christian Wolff angeregt wurden. Neben Aspekten der Erschließung neuer Gegenstandsbereiche und methodischen Impulsen gilt die Aufmerksamkeit Wolffs Konzept eines aufgeklärten Selbstbewußtseins, das Wissenschaft und theoriegeleitetes Handeln ermöglichen soll.
C. B.
Donnerstag, den 23. September 2004
PD Dr. Peter Nickl (Hannover):
Zum Vortrag:
Von der Freiheit zu reden ist notwendig, weil sie bedroht ist: Einerseits durch die einschläfernde Vorstellung, als Mitglieder einer freien Gesellschaft seien wir automatisch schon frei – andererseits durch die Vorstöße der Neurowissenschaft, die uns glauben machen wollen, wir seien nur Marionetten unserer Gehirnströme. Wirklich angemessen lässt sich von der Freiheit aber nur sprechen, wenn man die Alternative „Freiheit oder Determinismus“ überwindet zugunsten einer differenzierten Betrachtung, die Grade von Freiheit (bzw. Unfreiheit) unterscheidet. Denn niemand wird behaupten wollen, dass er mit der gleichen Notwendigkeit isst, mit der er verdaut (Fichte). Der Vortrag wird zu eruieren suchen, wodurch sich freie Akte auszeichnen, inwiefern sie in unserer Macht stehen und warum gutes Handeln mehr Freiheit verwirklicht als böses.
P. N.
Donnerstag, den 9. September 2004
Prof. Dr. Gerhard Kruip (Hannover):
Zum Vortrag:
Je mehr sich Öffentlichkeit, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft globalisieren, um so mehr entstehen weltweite Gerechtigkeitsprobleme, die bisher gängige Gerechtigkeitsvorstellungen herausfordern. So bedarf es einer stärkeren interkulturellen Verständigung, um Gerechtigkeitsprinzipien zu entwickeln und zu begründen, die es rechtfertigen können, internationale Institutionen aufzubauen, die die zurückgehenden Möglichkeiten der Nationalstaaten, für Gerechtigkeit zu sorgen, ergänzen. Welche Chancen und welche Ressourcen gibt es für einen solchen globalen Gerechtigkeitsdiskurs, und auf welche Ergebnisse könnte er hinauslaufen?
G. K.
Donnerstag, den 24. Juni 2004
Prof. Dr. Steffen Dietzsch (Berlin):
Zum Vortrag:
Kants Spätwerk Der Streit der Fakultäten – gewissermaßen ein philosophisches Testament am Ende der Aufklärung – wird in doppelter Perspektive analysiert: Einmal vor dem Hintergrund langer praktischer Erfahrung Kants als Lehrer an einer preußischen Universität und zum anderen als universitätskritische Idee, die herkömmliche Fakultätsordnung neu in einer mobilen Konstellation von Vernunft und Verstand zu begreifen bzw. zu verändern.
S. D.
Der Referent hat uns den vollständigen Text des Vortrags zur Verfügung gestellt – Sie finden ihn hier im doc-Format (Copyright beim Autor).
Donnerstag, den 6. Mai 2004
Prof. Dr. Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin):
Zum Vortrag:
In der Frühen Neuzeit gab es eine ausgearbeitete und sehr einflußreiche Christliche Kabbala, die christlich-theologische Spekulation, jüdische mystisch-exegetische Traditionen und qualitative Zahlentheorien miteinander verband. Das Ziel dieser Lehre war, jüdische und christliche Theologie mit einer Philosophie, die auf der Bibel beruhte, gemeinsam zu begründen. Die wichtigsten Vertreter dieser Lehre waren Nikolaus von Kues, Giovanni Pico della Mirandola, Johannes Reuchlin, Robert Fludd, Athanasius Kircher. Der Vortrag wird versuchen, einige Grundmuster der Christlichen Kabbala vorzustellen.
W. S.-B.
Donnerstag, den 29. April 2004
Dr. Heinz-Jürgen Heß (Hannover):
Zum Vortrag:
Der Beitrag behandelt das Jahrzehnt von Leibniz' Rückkehr aus Italien 1690 bis zum öffentlichen Ausbruch des Prioritätsstreits durch Fatios Plagiatsunterstellung in dessen Schrift Lineae brevissimi descensus investigatio geometrica von 1699. Sowohl die Vorgeschichte, d. i. die Erfindung der Differential- und Integralrechnung und deren ausbleibende öffentliche Resonanz als auch das Nachspiel, nämlich der Streit zwischen den kontinentalen und englischen Mathematikern um Priorität und Abhängigkeit der beiden großen Methoden der modernen Analysis, ist in der Literatur ausführlich dokumentiert.
Es soll hier aufgezeigt werden, wie Breitenwirkung und Leistungsfähigkeit der Infinitesimalrechnung im Berichtszeitraum ausgebaut wurden, wie die Mitverfechter des leibnizschen Calculus das Geschehen zunehmend bestimmten und wie dennoch Leibniz als der ideenreiche Nestor der neuen mathematischen Methode hoch verehrt und geschätzt wurde.
Bei diesen Erfolgen auf dem Kontinent konnte es nicht ausbleiben, dass sich die englischen Mathematiker genötigt sahen, auf die Priorität der newtonschen Fluxionsrechnung und auf eine vermutete Abhängigkeit des leibnizschen Calculus hinzuweisen. Leibniz und Newton waren im Berichtszeitraum noch bemüht, eine große öffentliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Bald darauf mussten die Protagonisten jedoch erkennen, dass sie Opfer gesellschaftlicher bzw. wissenschaftspolitischer Zwänge geworden waren. Die folgenden Unterstellungen und gegenseitigen Beschuldigungen sollten dem öffentlichen Ansehen Leibnizens mehr schaden als dem Newtons.
H.-J. H.
Donnerstag, den 1. April 2004
Dr. Günter Arnold (Weimar):
Zum Vortrag:
Herder ist als ein außerordentlich vielseitiger, anregender Schriftsteller in die Literaturgeschichte eingegangen. Weniger geschätzt wird er in der Geschichte der Philosophie – als Epigone und Popularphilosoph bzw. als philosophischer Dilettant, der wegen seiner alternativen Position zur Transzendentalphilosophie Kants in der Philosophiegeschichte in Mißkredit geraten ist. Aufgrund der neuesten Editionen, insbesondere des „Ideen“-Kommentars von Wolfgang Proß, zeichnet sich die Notwendigkeit ab, über eine neue Positionierung Herders in der Philosophiegeschichte nachzudenken, die seinen wissenschaftsgeschichtlichen Voraussetzungen geschuldet ist. Das betrifft auch die eigenständige Verarbeitung der von ihm aufgenommenen philosophischen Einflüsse. In Philosophie- wie Literaturgeschichte gilt allgemein Spinoza als Herders Favoritphilosoph. Bei genauerer Betrachtung sind die philosophischen Gesetze der Spinoza-Schrift Gott (1787) Leibnizsche Theoreme, die fast wörtlich schon in Herders Rigaer Predigten vorkommen, während seine intensiven Spinoza-Studien erst ab 1774 nachzuweisen sind. In dem Vortrag soll versucht werden, Herders Leibniz-Studien und ihren Ertrag für sein Gesamtschaffen an ausgewählten Beispielen zu charakterisieren. Herders sogenannter „Spinozismus“ gründet sich tendenziell auf eine „Leibnizianisierung“ Spinozas.
G. A.
Donnerstag, den 18. März 2004
Dr. Jens Häseler (Potsdam):
Zum Vortrag:
Die République des lettres wird gemeinhin als Idee eines über den politischen und konfessionellen Konflikten stehenden, vereinten geistigen Europa verstanden. Ist es gerechtfertigt, auch nach Leibniz und Bayle von einer europäischen République des lettres zu sprechen und wenn ja, wie läßt sie sich in ihrem Traditions- und Gegenwartsbezug bestimmen? Was haben die République des lettres und die Aufklärung gemeinsam? Das sind Fragen, denen der Vortrag anhand von typischen Publikationen (Zeitschriften und Lexika) sowie kritischen Reflexionen der Zeitgenossen nachgehen wird. Unter diesen Zeitgenossen erscheinen – wohl auch wegen des nunmehr das Latein als lingua franca ablösenden Französisch – eine Vielzahl von französischen Protestanten als Autoren, Verleger, Übersetzer und eifrige Briefschreiber in der Tradition der Humanisten.
J. H.
Donnerstag, den 15. Januar 2004
PD Dr. Thomas Fuchs (Hannover):
Zum Vortrag:
Geschichtsschreibung bildete in der frühen Neuzeit einen wichtigen Bestandteil der politischen Kommunikation. Eine Ursache hierfür liegt in der Traditionsorientierung der Gesellschaft und des politischen Systems im dynastischen Gedanken. Geschichte legitimierte neben der Macht das Recht; Geschichte, hohes Alter und Abstammung legitimierten Herrschaft.
Mit der Reformation wurden neue Geschichtsbilder und neue Legitimitätshorizonte auf historischer Basis entworfen. Diese Geschichtsbilder wurden wesentlich von der protestantischen Geschichtstheologie in Anlehnung an Melanchthon geprägt. Auf der materiellen Ebene wirkte der Territorialstaat massiv auf die Produktion von Geschichte ein. Mit der zunehmenden Verdichtung des dynastischen Staates und den strukturell seit dem späten 16. Jahrhundert einsetzenden historiographieinternen Veränderungsprozessen kam es seit dem 17. Jahrhundert zu einer zunehmenden Säkularisierung der territorialstaatlichen Geschichtsprogramme. In den zunehmend verrechtlichten ‚staatlichen’ Beziehungen im Reich wurde Geschichtsschreibung zur Durchsetzung dynastischer Interessen immer wichtiger, ebenso wie zur Begründung von Standeserhöhungen, der Verleihung von Privilegien sowie der Durchsetzung von Erbansprüchen. In der Ideologie des dynastischen Fürstenstaates wurden die religiösen Herrschaftsbegründungen durch historische Argumente ergänzt.
Der Vortrag thematisiert in vergleichender Perspektive die wichtigsten Gründe für den Aufstieg der Geschichtsforschung im fürstlichen Territorialstaat.
T. F.